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Peter Sander

Vom Flug des Phönix oder Standortentwicklungsgesetz 2.0

Durch das Segeln unter der Flagge des Ministerialentwurfs 67/ME hat sich der Gesetzgeber aber immerhin das Begutachtungsverfahren gespart und steht mit seinem Großsegler schon fast vor dem sicheren Hafen.

Was vom ursprünglichen Entwurf mehr oder weniger geblieben ist, ist das Prozedere, wie Vorhaben zu solchen mit Standortrelevanz erklärt werden. Der Rest ist – wenn man so will „überarbeitet“ oder besser gesagt – neu gefasst worden.

Eines vorweg: Vieles, was im neuen Entwurf steht, ist derzeit geltendes Recht oder entspricht der ständigen Rechtsprechung. Allerdings wurden manche Regeln im behördlichen Alltag kaum angewandt, sodass es nunmehr der Regierung notwendig erschien, diese für standortrelevante Verfahren nochmals vorzuschreiben. Die einzelnen, tw. sehr knappen Regelungen mit punktuellen Sonderbestimmungen, Querverweisen und Ausnahmen zum UVP-G, AVG und VwGVG können an dieser Stelle nur exemplarisch und nicht abschließend behandelt werden. Die auf den ersten Blick überschaubaren Sonderregeln sind auf den zweiten Blick mit vielen Details gespickt.

Die wesentlichen Eckpunkte sollen aber – ebenso wie in APA-OTS-Aussendungen bereits kundgetane Missverständnisse – im Folgenden dargestellt/aufgeklärt werden, alles natürlich rein subjektiv und nach erster Durchsicht:

  1. Im ursprünglichen Entwurf war das Gesetz nur auf bereits eingeleitete Verfahren anzuwenden, nunmehr nur auf nicht anhängige Verfahren.

  2. Es gibt keine Genehmigungsfiktion mehr. Diese wurde ersatzlos gestrichen. Es gibt auch nichts Ähnliches (wie gleich dargestellt).

  3. Es gibt insbesondere keinen automatischen Zuständigkeitsübergang. Die Zuständigkeit geht nur nach Erhebung einer Säumnisbeschwerde über. Das ist nichts Neues, sondern grundsätzlich geltendes Recht. Neu ist, dass das Verschulden nicht zu prüfen ist. Das ist aber tatsächlich auch nicht so neu oder absurd wie es manchen ersten Pressemeldungen zu entnehmen ist. So war es auch schon bei der Säumnisbeschwerde alt vorgesehen (freilich an den VwGH).

  4. Besonders groß ist der Aufschrei hinsichtlich der Entscheidungsfrist. Übersehen wird dabei, dass es im UVP-G derzeit drei Entscheidungsfristen gibt (6/9/12 Monate, vereinfachtes/normales Verfahren/3. Abschnitt). Die Frist von 12 Monaten entspricht der geltenden Regel im UVP-G für Linienvorhaben nach dem 3. Abschnitt (§ 24b UVP-G). Warum nun die 12-monatige Frist skandalös sein soll, bleibt im Verborgenen. Möglicherweise beruht dies auf der Annahme, dass die verschuldensunabhängige Säumnisbeschwerde gepaart mit der Frist bewirken würde, dass der Konsenswerber einen Antrag in völlig unvollständiger Form einbringen und nach 12 Monaten dennoch die Säumnisbeschwerde erheben kann. Dies ist aber aus mehreren Gründen nicht möglich: ein unvollständiger Antrag ist zur Verbesserung zurück zu stellen. Weigert sich der Projektwerber, dem Verbesserungsauftrag nachzukommen, kann die Behörde den Antrag zurückweisen.

  5. Nur ein vollständiger Genehmigungsantrag (samt den erforderlichen Unterlagen) löst aus meiner Sicht die Frist aus. Denn betrachtet man § 73 Abs AVG und die Rsp dazu sowie § 11 Abs 4 StEntg, so gehen diese von derselben Regelungssystematik aus, sodass sich auch die Rsp zur Fristauslösung übertragen lässt (alles andere wäre mE faktisch und rechtlich tatsächlich problematisch).

  6. § 11 Abs 4 StEntG: „Bei standortrelevanten Vorhaben, denen das besondere öffentliche Interesse der Republik Österreich bestätigt wurde, hat die Behörde die Entscheidung über den Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens zwölf Monate nach Antragstellung zu treffen.“

  7. § 73. (1): „Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.“

  8. Unberechtigt ist auch die Sorge mancher, dass es durch den „Automatismus“ der Devolution an das BVwG automatisch zu einem postwendenden Auftrag zur Verfahrensergänzung an die Behörde komme. § 28 Abs 7 VwGVG, der diese Möglichkeit vorsieht, wird für nicht anwendbar erklärt, das BVwG hat daher in jedem Fall in der Sache zu entscheiden.

  9. Nicht ganz klar ist mir, warum § 16 Abs 3 UVP-G unanwendbar sein soll. Dieser lautet in seiner Neufassung: „(3) § 39 Abs. 3 AVG ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass neue Tatsachen und Beweismittel bis spätestens in der mündlichen Verhandlung vorzubringen sind und der Schluss des Ermittlungsverfahrens auch für einzelne Teilbereiche der Sache erklärt werden kann. § 39 Abs. 4 erster und zweiter Satz und Abs. 5 AVG sind in UVP-Verfahren nicht anzuwenden.“ Die Materialien schweigen dazu. Müsste ich raten, würde ich meinen, es sollte der alte § 16 Abs 3 UVP-G mit seiner unliebsamen vierwöchtigen Nachfrist bereinigt werden, der aber durch die bereits beschlossene Novelle zum UVP-G novelliert wird. Diese Neuregelung des § 16 Abs 3 stellt eine Besserstellung des Projektwerbers und der Behörde dar, weil sie die Regeln über die Wiedereröffnung des Ermittlungsverfahrens für nicht anwendbar erklärt. (Anm: Im Gegenzug dürfen Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit in der Beschwerde alle Punkte einbringen – auch jene hinsichtlich derer sie präkludiert sind. Diese Möglichkeit steht ihnen kraft AK im Übrigen auch nach dem StEntG zu (dies scheint auch die Regierungsvorlage zum StEntG nicht zu bezweifeln, siehe zB § 15 Abs 7, der die Zustellfiktion auch für präkludierte Parteien eintreten lässt. Dieser Passus wäre nicht notwendig, wenn angenommen würde, dass diese kein Beschwerderecht haben)).

  10. Auch die Regeln des § 11 Abs 5 und Abs 6 stellen keine Besonderheit dar, sondern geltendes Recht:

  11. "(5) Nach Ablauf der Frist gemäß Abs. 4 ist das standortrelevante Vorhaben von der Behörde gemäß UVP-G 2000 mit Bescheid zu genehmigen, soweit Abs. 6 nicht anderes bestimmt.“

Nach Ablauf der Entscheidungsfrist ist in allen Bewilligungsverfahren eine Entscheidung zu treffen. Dies ist der Sinn von Entscheidungsfristen.

  1. „(6) Abweichend von Abs. 5 hat die Behörde gemäß dem UVP-G 2000 den Antrag abzuweisen, wenn sich im Verfahren auf unzweifelhafte Weise ergeben hat, dass das standortrelevante Vorhaben bestimmten Genehmigungsvoraussetzungen in einem Maße zuwiderläuft, dass diese Mängel durch Auflagen, Bedingungen, Befristungen, Projektmodifikationen oder Ausgleichsmaßnahmen nicht behoben werden können.“

Damit wird in anderen Worten lediglich wiedergegeben, was bereits jetzt in § 5 Abs 6 UVP-G enthalten ist.

  1. "(6) Der Antrag ist in jeder Lage des Verfahrens abzuweisen, wenn sich im Zuge des Verfahrens auf unzweifelhafte Weise ergibt, dass das Vorhaben bestimmten Genehmigungsvoraussetzungen in einem Maße zuwiderläuft, dass diese Mängel durch Auflagen, Bedingungen, Befristungen, Projektmodifikationen oder Ausgleichsmaßnahmen nicht behoben werden können."

Notwendig war die Einfügung im StEntG mE nur, um nicht Abs 5 dahingehend zu missinterpretieren, dass nach 12 Monaten nur mehr die Genehmigung infrage komme.

  1. Wie in jedem anderen Bewilligungsverfahren sind daher drei Entscheidungstypen möglich: Zurückweisung, Genehmigung, Abweisung.

  2. Was passiert also, wenn die Behörde nach 12 Monaten noch nicht entschieden hat? Ex lege nichts. Der Projektwerber hat aber die Möglichkeit eine Säumnisbeschwerde einzubringen, bei der das Verschulden der Behörde nicht zu prüfen ist. Wer dies nun als Damoklesschwert betrachtet, das über allen Verfahren hängt, sollte recherchieren, in wie vielen Verfahren nach UVP-G ein Projektwerber eine Säumnisbeschwerde eingebracht hat. Das Ergebnis kann dann im Rahmen des Blogs gepostet werden.

Achtung „Spoiler“: das wird eine kurze Liste.

Als Zwischenresümee lässt sich festhalten: Jene Bestimmungen, die bislang in der medialen Rezeption den größten Aufschrei verursacht haben, sind mE jene mit dem geringsten Impact auf die Verfahren. Die wirklichen Einschnitte kommen bei jenen Bestimmungen, die man zusammenfassend als Prozessförderungsregeln bezeichnen kann. Im Endeffekt geht es darum, das Verfahren straff zu strukturieren. Dies wird vor allem mit Regeln normiert, die ein geordnetes Vorbringen vorsehen, wie zB

  1. „§ 11 (2) Stellungnahmen und Beweisanträge sind nur innerhalb der gesetzlichen und der behördlich angeordneten Einwendungs- und Stellungnahmefristen zulässig.

Auch das ist keine Erfindung des StEntG, sondern im Endeffekt im Rahmen der letzten AVG-Novelle in das Verfahrensrecht aufgenommen worden, das im Übrigen in diesem Punkt für Verfahren nach dem StEntG (nicht aber nach UVP-G) gilt, weil § 16 Abs 3 UVP-G für nicht anwendbar erklärt wurde, der wiederum § 39 Abs 4 AVG für nicht anwendbar erklärt, der wiederum Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 41 Abs 2 AVG ist.

Klingt kompliziert, ist es auch.

Andersrum: § 41 Abs 2 AVG idF Nov 2018 lautet: „(2) Die Verhandlung ist so anzuberaumen, dass die Teilnehmer rechtzeitig und vorbereitet erscheinen können. Die Verständigung (Kundmachung) über die Anberaumung der Verhandlung hat die für Ladungen vorgeschriebenen Angaben einschließlich des Hinweises auf die gemäß § 42 eintretenden Folgen zu enthalten. Sie kann unter Hinweis auf die gemäß § 39 Abs. 4 eintretenden Folgen die Aufforderung an die Parteien enthalten, binnen einer angemessenen, vier Wochen möglichst nicht übersteigenden Frist alle ihnen bekannten Tatsachen und Beweismittel geltend zu machen.

Sinn ist, Tatsachen und Beweismittel nur innerhalb einer festgelegten Frist zu ermöglichen und nicht jederzeit.

Durch § 16 Abs 3 UVP-G neu wird aber § 39 Abs 4 AVG für nicht anwendbar erklärt, weshalb § 41 Abs 2 dritter Satz AVG nicht angewendet werden kann, weil dafür ein Hinweis in der Ladung auf § 39 Abs 4 notwendig wäre.

Da § 16 Abs 3 UVP-G durch das StEntG für nicht anwendbar erklärt wird, sind dafür die § 39 Abs 4 und § 41 Abs 2 dritter Satz anwendbar (= doppelte Verneinung; außer man nimmt materielle Derogation an [dem gehe ich jetzt nicht näher nach]).

  1. § 14 (1) „Jede Partei hat ihr Vorbringen so rechtzeitig und vollständig zu erstatten, dass das Verfahren möglichst rasch durchgeführt werden kann (Verfahrensförderungspflicht).“

Diese Bestimmung fügt sich nahtlos in die Absicht des Gesetzgebers, Verfahren zu beschleunigen und ist aus meiner Sicht zu begrüßen.

Relevanter ist aber der zweite Satz, weil ein Verstoß gegen diese Prozessförderung zur „Kostenseparation“ führt:

„Soweit aufgrund eines von einem Verfahrensbeteiligten schuldhaft verspäteten Vorbringens zusätzliche Verfahrenskosten entstehen, sind diese in angemessenem Ausmaß abweichend von § 3b Abs. 2 erster Satz UVP-G 2000 von diesem Beteiligten zu tragen. § 3b Abs. 2 zweiter Satz UVP-G 2000 gilt sinngemäß.“

Zwar könnte dagegen argumentiert werden, dass Umweltverfahren nach EuGH-Rsp nicht unzumutbar teuer sein dürfen, durch das Wort „schuldhaft“ , wird mE dieser Rsp Genüge getan. Verfahrensbeteiligte sollen nicht generell mit Kosten belastet werden, auch nicht für verspätetes Vorbringen. Ist ihnen aber hinsichtlich der Verspätung ein Verschulden vorzuwerfen und ist deswegen zB eine Ergänzung eines Gutachtens notwendig, so führt dies zu deren Kostentragung.

  1. § 14 (3) Ergänzungen der Beschwerde nach Ablauf der Beschwerdefrist sind unzulässig.“

Das ist neu. Betont wird damit die Einmaligkeit des Rechtsmittels. Es ist nicht mehr möglich, innerhalb der Beschwerdefrist eine rudimentäre Beschwerde einzubringen, die aber grundsätzlich alle Punkte enthält und diese dann durch ausführliche weitere Schriftsätze zu ergänzen. Davon unberührt bleibt das Parteiengehör. Wird zB vom Projektwerber im Beschwerdeverfahren ein Abänderungsantrag eingebracht, muss dieser ins Parteiengehör geschickt werden. Ebenso wie Gutachten etc, die aufgrund des Abänderungsantrags erst neu erstellt werden.

  1. Durch § 14 Abs 4 bis 7 StEntG werden zahlreiche Fristen verkürzt, am wichtigsten ist wohl jene des Abs 7, welche die Zustellfiktion mit Ablauf des Tages der Kundmachung und nicht erst nach zwei Wochen eintreten lässt.

  2. Behörden werden in Jubel über § 11 Abs 7 StEntG ausbrechen: "Die Behörde hat den Bescheid 8 Wochen nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens auszufertigen." Eine Regelung, die im Endeffekt dem Zweck des neu eingeführten § 39 Abs 5 erster Satz AVG entspricht. Dieser wurde aber von § 16 Abs 3 UVP-G für UVP-Verfahren für nicht anwendbar erklärt (siehe oben), weil die Frist in UVP-Verfahren zu kurz schien. Für standortrelevante Verfahren scheint die Frist nicht zu kurz zu sein oder von der Behörde etwas ambitionierte Herangehensweise gefordert. Im Endeffekt sind diese 8 Wochen aber lediglich durch die Säumnisbeschwerde der insgesamten Frist sanktioniert, sodass auch Überschreitungen der Frist keine Rechtsfolgen – zumindest keine öffentlich-rechtlichen – zeitigen, wenn sich alles noch innerhalb der 12 Monate bewegen.

Zusammenfassung: Die zweite Version des Standortentwicklungsgesetzes ist legistisch deutlich besser ausgefallen als die erste. Wer meint, es handle sich nur um eine sprachliche Redaktion, im Endeffekt sei aber alles sinngemäß gleich geblieben, hat das neue Gesetz entweder nicht gelesen oder die Unterschiede nicht erkannt. Die aus meiner Sicht klaren unionsrechts- und verfassungswidrigen Bestimmungen des StEntG 1.0 wurden aus meiner Sicht beseitigt. Geblieben von der Grundidee der Genehmigungsfiktion ist lediglich ein kleines Fragment, nämlich die verschuldensunabhängige Säumnisbeschwerde. Vorhaben sollen nicht mehr als genehmigt gelten, aber zumindest soll sich der Projektwerber etwas leichter gegen eine Säumnis der Behörde wenden können.

Relativ strenge Regeln werden im Verfahrensregime vorgesehen, die man allgemein unter dem Stichwort „Prozessförderung“ zusammen fassen kann. Zahlreiche Anklänge an die ZPO sind zu erkennen, werden in den Materialien aber auch unumwunden zugegeben. Ob man dies gut findet oder nicht, obliegt der jeweiligen subjektiven Beurteilung, die Verfassungs- oder Unionsrechtssphäre wird aber nach meinen ersten Überlegungen nicht berührt.

Über die rechtlich fundierte Diskussion in den nächsten Tagen und Wochen freue ich mich.

Dabei fällt mir ein: die nächsten Möglichkeiten gibt es bei der 1. Tagung der Forschungsstelle Umweltrecht und bei der 4. Auflage der Reihe „Aktueller Diskurs im Umweltrecht“.

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