In seiner Entscheidung vom 9. September 2020 in der Rechtssache C-254/19 hat sich der Europäische Gerichtshof in erster Linie mit Art 6 Abs 3 der Habitatrichtlinie (RL 92/43/EWG) auseinandergesetzt. Dem gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahren liegt die beabsichtigte Errichtung eines Wiederverdampfungsterminals für verflüssigtes Erdgas in Irland zugrunde. Der Vorhabensstandort befindet sich in unmittelbarerer Nähe von zwei Natura-2000-Gebieten. Im Jahr 2008 wurde von der zuständigen Behörde die entsprechende Genehmigung erteilt, wobei für die Ausführung des Vorhabens eine Frist von 10 Jahren festgesetzt wurde. In diesem Kontext ist anzumerken, dass die Genehmigung auf Grundlage einer – wie vom EuGH in der Entscheidung Kommission gegen Irland (13.12.2007, C‑418/04) festgestellt – europarechtswidrigen nationalen Rechtslage erging, da Irland die Habitatrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hatte. Die ursprüngliche Genehmigung hat folglich weder auf die Habitatrichtlinie noch auf die angrenzenden Schutzgebiete Bezug genommen. Nachdem der Bau des Terminals im September 2017 immer noch nicht begonnen hatte, beantragte der Projektwerber eine Verlängerung der Laufzeit der Baugenehmigung. Eine Projektänderung wurde mit diesem Verlängerungsantrag nicht vorgenommen. Die ursprüngliche Genehmigung endete am 31. März 2018, ohne dass die Arbeiten auch nur begonnen hatten. Am 13. Juli desselben Jahres gewährte die Behörde dem Projektwerber eine zusätzliche Frist von fünf Jahren zur Umsetzung des Vorhabens und führte im Rahmen dieses Verfahrens eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch. Art 6 Abs 3 der Habitatrichtlinie fand hingegen keine Anwendung.
Der Europäische Gerichtshof hatte daher zunächst die Frage zu beantworten, ob die Verlängerung einer Genehmigung als Zustimmung zu einem Projekt zu qualifizieren ist, so dass Art 6 Abs 3 der Habitatrichtlinie Anwendung findet. Zunächst stellte der Gerichtshof klar, dass der Umstand, dass sich das gegenständliche Projekt außerhalb der betroffenen Natura 2000 Gebiete befindet, keineswegs die Anwendbarkeit der genannten Bestimmung ausschließt. Allerdings besteht für bestimmte wiederkehrende Tätigkeiten oder einheitliche Vorgänge, die als ein und dasselbe Projekt im Sinne des Art 6 Abs 3 anzusehen sind, die Möglichkeit der Befreiung von einem Prüfungsverfahren nach dieser Bestimmung. Der EuGH verneinte jedoch das Vorliegen einer solchen Befreiung unter Verweis auf den Umstand, dass die ursprüngliche Genehmigung durch den Ablauf der Frist wirkungslos geworden war. Es liegt somit eine neue Genehmigung vor, die auch als Zustimmung im Sinne von Art 6 Abs 3 der Habitatrichtlinie einzuordnen ist.
In weiterer Folge hatte sich der Gerichtshof damit auseinanderzusetzen, ob die Behörde im Rahmen des Verlängerungsverfahrens verpflichtet ist, allfällige Änderungen des ursprünglich genehmigten Vorhabens oder Veränderungen des umweltbezogenen Hintergrunds sowie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Zu dieser Frage führte der EuGH aus, dass eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss, wenn auf Grundlage der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Projekt die für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigt. Eine frühere Prüfung des Projekts, vor dem Erlass der ursprünglichen Genehmigung, vermag diese Gefahr nur auszuschließen, wenn sie vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthält, die geeignet sind jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen des Vorhabens auszuschließen. Voraussetzung dafür ist, dass bezüglich der relevanten Umweltdaten und des wissenschaftlichen Standes sowie der Ausgestaltung des Projekts keine Änderungen eingetreten sind.
Im Ergebnis ist aus dieser Entscheidung abzuleiten, dass im Fall des ungenützten Verstreichens der in einer Genehmigung gesetzten Umsetzungsfrist, eine nochmalige Prüfung des identen Vorhabens – insbesondere hinsichtlich der damit verbundenen Umweltauswirkungen – in Betracht kommt. Unter Berücksichtigung der besonderen, der ursprünglichen Genehmigung zugrundeliegenden, Gegebenheiten (europarechtswidrige nationale Rechtslage und damit einhergehend mangelhaftes Genehmigungsverfahren) sowie der spezifischen nationalen Rechtslage, kann die Reichweite des gegenständlichen Urteils kaum abgeschätzt werden. Von zentraler Bedeutung ist insbesondere die Rechtsfrage, ob eine neue Genehmigung die zur neuerlichen Prüfung nach Art 6 Abs 3 verpflichtet auch dann vorliegt, wenn der Verlängerungsantrag rechtzeitig gestellt wurde und die ursprüngliche Genehmigung nach nationalem Recht nicht wirkungslos geworden ist.