Keine Änderungskenntnisnahme ohne Grundkonsens im AWG Bettina Bachl hat hier vor rund zwei Wochen bereits auf das Erkenntnis VwGH 29.10.2015, Ro 2015/07/0032, hingewiesen und als eine der Kernaussagen identifiziert, dass sich die Rechtswirkung eines Kenntnisnahmebscheides gemäß § 51 AWG 2002 nur dann entfalten können, wenn es überhaupt einen aufrechten Genehmigungsbescheid (wohl nach § 37 AWG 2002) gibt. Fehlt eine solche „Grundbewilligung“, kann ein sich darauf beziehender (und auch rechtskräftig gewordener) Kenntnisnahmebescheid keine Rechtswirkungen entfalten. Dem angesprochenen Erkenntnis sind jedoch noch einige Aussagen mehr zu entnehmen, die es (aus Sicht eines am Verfahren Beteiligten) näher zu beleuchten gilt: Hinsichtlich des Sachverhaltes ist der zeitliche Ablauf das interessierende Element: Mit Bescheid vom 21.3.2006 wurde eine abfallrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Deponie erteilt. Die Rechtskraft trat mit 7.4.2006 ein. Eine Änderung (Anpassung an den Stand der Technik entsprechend der DVO 2008) wurde am 8.7.2010 (unter zweimaliger Verbesserung) gemäß § 37 Abs. 4 Z 1 AWG 2002 angezeigt und von der zuständigen Behörde mit Bescheid vom 29.2.2012 unter Vorschreibung von Aufträgen zur Kenntnis genommen. Dieser Bescheid ist schlussendlich am 16.3.2012 in Rechtskraft erwachsen. Mit Bescheid vom 1.7.2014 wurde die sofortige Schließung der konsenslos betriebenen Abfallbehandlungsanlagen gemäß § 62 Abs. 2a und 2c AWG 2002 (“…offenkundig, dass eine Behandlungsanlage ohne Genehmigung betrieben wird…”) angeordnet. Dies wurde (mit geringfügigen Korrekturen) im Wesentlichen vom LVwG bestätigt. Tragendes Begründungselement war in beiden Fällen, dass es offenkundig gewesen sei, dass es sich um eine nicht genehmigte ortsfeste Behandlungsanlage handle, da die Deponiegenehmigung ohne Zweifel erloschen und eine Genehmigung für Abfallzwischenlagerungen zu keinem Zeitpunkt vorgelegen sei. Für den VwGH ergibt sich aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 AWG 2002 nun eindeutig, dass eine Genehmigung nach § 37 AWG 2002 immer dann erlischt, wenn der Betrieb der Behandlungsanlage nicht binnen fünf Jahren nach rechtskräftiger Genehmigung in zumindest einem für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teil der Behandlungsanlage aufgenommen wird. Ein Abgehen vom Wortlaut ist dabei nicht erforderlich: Kommt es bei Deponien vor Ablauf der fünf Jahre ab Rechtskraft des Genehmigungsbescheides zur Einbringung (Ablagerung) von Abfällen, also zur Inbetriebnahme, kann die Bewilligung nicht mehr erlöschen; erfolgt diese Einbringung aber erst später, ist die Bewilligung nach § 55 Abs. 1 AWG 2002 mit Ablauf des fünften Jahres bereits erloschen, und es handelt sich um eine konsenslose Ablagerung. Wenn ein zur Betriebsaufnahme im geschilderten Sinn zwingend erforderliches Kollaudierungsverfahren in diesem Zusammenhang einmal länger dauert, dann ist dies nach Ansicht des Gerichtshofes ebenfalls irrelevant: § 55 Abs. 1 AWG 2002 stellt seinem Wortlaut nach auf die Aufnahme des Betriebs in wesentlichen Teilen binnen einer ab der Rechtskraft des Genehmigungsbescheides laufenden Fünf-Jahres-Frist ab. Dies hat zur Folge, dass innerhalb dieser Fünf-Jahres-Frist auch der Bescheid nach § 63 Abs. 1 AWG 2002 erwirkt werden muss, um rechtmäßigerweise mit dem Betrieb beginnen zu können. Dass im gegenständlichen Fall auf dem Areal auch Abfälle, die zur Errichtung des Deponierohplanums eingesetzt wurden und hätten werden sollen (womit Abfallende eintreten konnte und hätte können), zwischengelagert wurden, hat auf die Systematik des § 55 AWG 2002 keinen Einfluss. Die scheint so klar zu sein, dass sogar von Offenkundigkeit gesprochen werden kann, da nach Ansicht des VwGH (und unter Verweis auf Vorjudikatur) bei Bedachtnahme auf den der Behörde offenliegenden Sachverhalt keine Zweifel bestanden haben können, dass die „Grundgenehmigung“ bereits 2011 erloschen sein musste. So begrüßenswert in aller Regel die klaren und am Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen orientierten Erkenntnisse des Höchstgerichts auch sind, führen sie mitunter – wie mutmaßlich auch im vorliegenden Fall – zu skurrilen Ergebnissen in deren Umsetzung. So bleibt aus meiner Sicht insbesondere offen,
wieso eine für abfallpolizeiliche und anlagengenehmigungsrechtliche Aspekte gleichermaßen zuständige Behörde eine Änderung eines anlagenrechtlichen „Grundkonsenses“ bescheidmäßig zur Kenntnis nehmen können soll, wenn doch 343 Tage zuvor hinsichtlich des nicht mehr vorliegenden „Grundkonsens“ „bei Bedachtnahme auf den der Behörde offenliegenden Sachverhalt […] keine Zweifel [an dessen Erlöschen] bestehen“ konnten?
warum eine Anlagenbehörde beispielsweise (aber im gegenständlichen Fall genau so geschehen) durch ein nicht den Vorgaben des § 73 Abs. 1 AVG entsprechendes Vorgehen diese Fünf-Jahres-Frist (oder inklusive Verlängerungsoption des § 55 Abs. 2 AWG 2002 diese Sieben-Jahres-Frist) überschreiten könnte und einem Anlagenbetreiber in einem solchen Fall nicht einmal ein Säumnisschutz zur Verfügung steht (sowohl § 73 Abs. 1 AVG als auch § 8 Abs. 1 VwGVG beziehen sich ausweislich ihres Wortlautes – um diesen wieder einmal Vorrang einzuräumen – ausschließlich auf Anträge, was im amtswegig zu führenden Kollaudierungsverfahren nach § 63 Abs. 1 AWG 2002 kein unbedingt wirkungsvolles Säumnisinstrument darstellt)?
Aber hinsichtlich beider Fragen kann und darf man dem Gerichtshof keinen Vorwurf machen. Für den gesetzlichen Rahmen ist der Gesetzgeber verantwortlich. Wenn sich dieser eines klaren Wortlauts bedient, dann sind dem Primat der Wortinterpretation folgend im höchstgerichtlichen Verfahren die konkreten Umstände und Randaspekte des konkreten behördlichen Vollzugs im Einzelfall in aller Regel eben nicht Verfahrensgegenstand. Hinterlässt der Gesetzgeber Rechtsschutzlücken (wie im gegebenen Fall den fehlenden Säumnisschutz), dann ist auch das eine “andere Baustelle”, die allenfalls den Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit Art 6 EMRK oder Art 47 GRC hätte beschäftigen können, nicht aber den Verwaltungsgerichtshof.