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Peter Sander

EuGH: Nachträgliche UVP mit Einschränkungen zulässig

Seit den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Gruber (EuGH 16.4.2015, Rs C-570/13) und Kommission/Deutschland (EuGH 15.10.2015, Rs C-137/14) stellten sich in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zahlreiche Fragen, wie damit umzugehen sei, wenn sich im Nachhinein – etwa aufgrund von Einwendungen der betroffenen Öffentlichkeit – herausstellt, dass für ein bestimmtes Vorhaben eine UVP durchzuführen gewesen wäre (vgl. zB EuGH 17.11.2016, Rs C-348/15, Stadt Wiener Neustadt, Ennöckl, EuGH: Genehmigungsfiktion in der Übergangsbestimmung des § 46 Abs 20 Z 4 UVP-G mit UVP-RL nicht vereinbar).

Bereits in einigen Vorentscheidungen hielt der EuGH dazu fest, dass das Unionsrecht nicht grundsätzlich nationalen „Sanierungsbestimmungen“ für solche Fälle entgegensteht, solange diese keine Umgehungsmöglichkeiten bieten und somit Ausnahmefälle bleiben (vgl. zB EuGH 3.7.2008, Rs C-215/06, Kommission/Irland; EuGH 15.1.2013, Rs C-416/10, Križan). In den verbundenen Rechtssachen Comune di Corridonia und Bartolini u.a. (C-196/16, C-197/16) hat der EuGH in seinem Urteil vom 26.7.2017 nun klargestellt, unter welchen Voraussetzungen die nachträgliche Durchführung einer UVP zulässig ist.

In den Ausgangsfällen wurden zwei Biogasanlagen ohne Durchführung von UVP-Verfahren genehmigt und trotz der Erhebung von Einsprüchen noch vor dem rechtkräftigen Abschluss dieser Verfahren errichtet und in Betrieb genommen. Nach einer ersten Nichtigerklärung der Entscheidung durch den italienischen Staatsrat legte der Betreiber die Anlagen jedoch still und stellte bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Voruntersuchung der Erforderlichkeit einer UVP. In diesen zweiten Verfahren stellte sich nun für das vorlegende Gericht die Frage, ob die Durchführung einer UVP nach Errichtung der Anlagen in diesen Fällen mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Im Sinne seiner bisherigen Rechtsprechung stellte der EuGH zunächst klar, dass Projekte iSd UVP-RL, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer UVP unterzogen werden müssen (vgl. EuGH 7.1.2004, Rs C-201/02, Wells; EuGH 3.7.2008, C-215/06, Kommission/Irland). Dadurch soll die Behörde in die Möglichkeit versetzt werden, die Auswirkungen auf die Umwelt so früh wie möglich zu berücksichtigen, um Umweltbelastungen von vornherein zu vermeiden.

Anders als die Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vom 30.3.2017 geht das Gericht jedoch davon aus, dass im Rahmen der UVP-RL auch eine im Nachhinein durchgeführte UVP als „vollwertige“ UVP angesehen werden kann. Das Unionsrecht erfordere zwar, dass die Mitgliedsstaaten die durch die fehlende UVP entstandenen Schäden beheben, verbiete aber nicht, dass nach dem Bau und der Inbetriebnahme einer betroffenen Anlage eine UVP zu ihrer Legalisierung durchgeführt wird. Voraussetzung für die Unionsrechtskonformität einer solchen „nachträglichen UVP“ ist allerdings, dass

die zur Legalisierung durchgeführte Prüfung nicht nur die künftigen Umweltauswirkungen der betroffenen Anlage umfasst, sondern auch die seit deren Errichtung eingetretenen Umweltauswirkungen berücksichtigt (vgl. Rz 43 des Urteils).

Wenngleich es somit die (schwierige) Aufgabe der nationalen Behörden und Gerichte bleibt, im Einzelfall zu entscheiden, ob die jeweiligen „Legalisierungsvorschriften“ diesen Vorgaben genügen, so hat der EuGH mit dieser Entscheidung dennoch eine wichtige grundsätzliche Klarstellung getroffen. Demnach ist eine nachträgliche UVP unter strengen Voraussetzungen zulässig. Einer solcherart ordnungsgemäß durchgeführten Prüfung führt dazu, dass mit Rechtskraft der nachträglichen UVP-Entscheidung das Vorhaben als UVP-rechtlich genehmigt gilt. Dies hat für Projektbetreiber insbesondere auch im Hinblick auf allfällige Umwelthaftungsregeln große Bedeutung.

Welche Folgen könnte diese Entscheidung nun für die österreichische Rechtslage haben? Da das UVP-G 2000 weder eine nachträgliche UVP noch eine eigene „Sanierungsbestimmung“ explizit vorsieht, fehlt es an der nationalen Rechtsgrundlage für die Durchführung einer UVP im Nachhinein. Daher verwiesen die österreichischen Gerichte in Fällen unterbliebener Umweltverträglichkeitsprüfungen bisher auch ausschließlich auf die (ebenfalls unionsrechtlich vorgegebene) Schadenersatzpflicht (vgl. zB BVwG 18.3.2016, W113 2115723-1; BVwG 23.3.2017, W104 2010407-1). Die Judikatur deutet aber darauf hin, dass eine „nachgeholte“ UVP nach derzeitiger österreichischer Rechtslage in Fällen mehrstufiger Genehmigungsverfahren (zB Errichtungs- und Betriebsgenehmigung) möglich sein könnte, solange zumindest das Verfahren für die letzte Stufe noch offen ist (vgl. VwGH 30.4.2008, 2005/04/0054; BVwG 23.3.2017, W104 2010407-1). Sofern diese Verfahren auch die anderen dargestellten Vorgaben des EuGH erfüllen, ist somit klargestellt, dass eine solche nachträgliche UVP-Genehmigung unionsrechtskonform ist.

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