Im Lichte der Wiederansiedelung des Wolfes in weiten Teilen Europas wird immer wieder der Ruf nach der Freigabe des unter strengen FFH-Artenschutz gestellten Raubtieres zur Bejagung laut. In diesem Zusammenhang rückt das vor dem EuGH anhängige Verfahren zur finnischen Wolfsjagd in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, versprechen sich doch zahlreiche Akteure nunmehr Klarheit über die Zulässigkeit möglicher jagdrechtlicher Maßnahmen. Bevor ein Urteil des Gerichtshofes erwartet werden darf, sorgen bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard vom 8.5.2019, Rs C-674/17, insbesondere auf Seiten der Jägerschaft, für Aufsehen.
Zunächst zur Erinnerung: Bereits vor zwölf Jahren hatte sich der EuGH schon einmal mit der finnischen Wolfsjagd beschäftigt. Im Jahr 2007 erklärte er die Wolfsjagd in Finnland für rechtswidrig, weil in den von Finnland erteilten Genehmigungen für die Wolfsjagd nicht angegeben wurde, unter welchen Bedingungen die Jagd zulässig war (Rs C-342/05). Die Kommission stellte das betreffende Verfahren ein, nachdem Finnland neue Vorschriften für die Wolfsjagd erlassen hatte.
Finnland stützt die Jagd auf unter Artenschutz gestellte Tiere nunmehr auf den Ausnahmetatbestand des Art 16 Abs 1 lit e FFH-RL (Entnahme oder Haltung einer begrenzten Anzahl von Exemplaren der im Anhang IV enthaltenen Arten), zu dem die Kommission in ihrem Leitfaden aus dem Jahr 2007, S 62 ff – unter Verweis auf die Bejagung von Luchsen in Lettland als erfolgreiches Beispiel – die Bedingung einer begrenzten und streng kontrollierten Entnahme im Rahmen eines Artenmanagement-/Artenschutzplans als zulässig hervorstreicht. Gerade die Auslegung und Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes ist nunmehr Dreh- und Angelpunkt des anhängigen Verfahrens zur finnischen Wolfsjagd. Der Auffassung Finnlands zufolge sei es Ziel der Ausnahmeregelung, die Wilderei einzudämmen, Hunde zu schützen und das allgemeine Sicherheitsgefühl der Menschen in Wolfsgebieten zu verbessern.
Der Generalanwalt kam nun in seinen Schlussanträgen zum Ergebnis, dass ein Mitgliedstaat vom strengen Fang- und Tötungsverbot (Art 12 Abs 1 lit a FFH-RL) zur Erreichung der genannten Ziele abweichen darf, sofern er nachweist, dass alle Anforderungen des Art 16 Abs 1 lit e FFH-RL erfüllt sind (Rz 113, Punkt 1). Der Mitgliedstaat muss die Ziele klar und präzise definieren sowie feststellen, dass die Ausnahmeregelung zum Erreichen dieser Ziele in der Lage ist, und nachweisen, dass es keine alternativen Mittel gibt, um diese Ziele zu erreichen (Rz 113, Punkt 2). Die Behörden müssen ferner feststellen, dass aufgrund der Ausnahmeregelung keine Gefahr der erheblichen nachteiligen Auswirkung auf den Erhaltungszustand besteht. Ein solches Risiko muss ausgeschlossen werden, indem die Anzahl der Arten, auf die sich die Ausnahmeregelung bezieht, begrenzt und ihre selektive Anwendung auf der Grundlage detaillierter Spezifikationen vorgeschrieben wird, die vom Niveau der Population, ihrem Erhaltungszustand und ihren biologischen Eigenschaften abhängen. Die Bedingungen müssen genau festgelegt und deren Einhaltung streng überwacht werden (Rz 113, Punkt 4). Bei der Festlegung des Kontingents an zu erlegenden Exemplaren sind weiters etwaige nach Art 16 Abs 1 lit a – d FFH-RL erteilte Ausnahmegenehmigungen und andere auf Menschen zurückzuführende Ursachen der Sterblichkeit zu berücksichtigen (Rz 113, Punkt 3, 3. Unterpunkt).
Interessant ist darüber hinaus die Conclusio des Generalanwalts, wonach eine Ausnahmegenehmigung auch erteilt werden darf, wenn der Erhaltungszustand der Population der betreffenden Art ungünstig ist, sofern die Ausnahmegenehmigung diesen Zustand nicht weiter verschlechtert oder die Wiederherstellung dieser Population zu einem günstigen Erhaltungszustand verhindert (Rz 113, Punkt 3, 2. Unterpunkt). Zwar vertrat der EuGH bereits im Zuge der zitierten ersten Entscheidung zur finnischen Wolfsjagd diese Auffassung, doch hatte sich der Gerichtshof damals mit der Ausnahmebestimmung des Art 16 Abs 1 lit b FFH-RL (Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum) zu befassen. In Bezug auf Art 16 Abs 1 lit e FFH-RL wurde in der deutschen Literatur bis dato die Ansicht vertreten, dass Voraussetzung ein Verweilen der Population in einem günstigen Erhaltungszustand ist. Auch die Kommission hält in ihrem Leitfaden, S 64, fest, dass im Rahmen eines Artenmanagement-/Artenschutzplans Ausnahmen als Mittel vorgesehen werden könnten, um die Population einer Art zu regulieren, ohne ihren günstigen Erhaltungszustand zu beeinträchtigen.
Weiters fordert der Generalanwalt eine Beurteilung des Erhaltungszustandes der Population auf der Ebene des Mitgliedstaates oder der biogeographischen Region, auf die sich die Ausnahmegenehmigung in diesem Mitgliedstaat bezieht; eine Beurteilung nur auf der Ebene des Gebiets, auf das sich die Ausnahmegenehmigung bezieht, ist zu wenig (Rz 113, Punkt 3, 1. Unterpunkt). Eventuell lässt sich im Rahmen dieses Verfahrens die Meinungsverschiedenheit betreffend die Beurteilungsebene des Erhaltungszustandes einer Lösung zuführen.
Erste positive Reaktionen aus der heimischen Jägerschaft blieben freilich nicht aus, so begrüßte etwa der Niederösterreichische Landesjägermeister, dass auf europäischer Ebene auf die Forderungen der Jagd eingeschwenkt werde. Tatsächlich könnte ein den Schlussanträgen folgendes Urteil die Türe zur Bejagung des Canis lupus auch in Österreich ein Stück weit öffnen, wobei jedoch die Unterschiede in der Wolfspopulation Finnlands im Vergleich mit dem heimischen Bestand nicht übersehen werden dürfen. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Gerichtshofes auf jeden Fall mit Spannung zu erwarten.