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Peter Sander

Altkleider als Abfall?

Hier hat Bettina Bachl bereits am 05.01.2015 unter anderem über ein VwGH-Judikat zur Altkleidersammlung in Kärnten berichtet. Das Erkenntnis vom 25.09.2014, Ro 2014/07/0032, ist aber einen zweiten, näheren Blick auf jeden Fall wert, veranschaulicht es doch eindrucksvoll die Schwächen des Abfallbegriffs des AWG 2002. Aber der Reihe nach: Der Revisionswerber des VwGH-Verfahrens sammelt mittels Containern Gebrauchtkleider und -schuhe zu humanitären Zwecken. Da scheinbar Zweifel über die Abfall- oder Nichtabfalleigenschaft bestanden haben dürften beantragte er bei der zuständigen BH, die Feststellung nach § 6 AWG 2002, dass die von ihm mittels Containern gesammelte Gebrauchtkleidung keinen Abfall im Sinn des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002) oder der Kärntner Abfallwirtschaftsordnung 2004 (K-AWO) darstellen. Die BH bejahte die Abfalleigenschaft, wogegen Berufung an den LH erhoben wurde. Dieser wies die Berufung in weiterer Folge unter Hinweis auf das Behandlungsverfahren der Vorbereitung zur Wiederverwendung ab und darauf hin, dass der Gesetzgeber die Reinigung von Altkleidern ausdrücklich als Vorbereitung zur Wiederverwendung einordne, was voraussetze, dass es sich bei Altkleidern um Abfall handle. Hingegen habe der Gesetzgeber Second-Hand-Kleider vom Abfallbegriff ausgenommen. Im Ergebnis bejahte die belangte Behörde das Vorliegen des subjektiven Abfallbegriffes mit der Begründung, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung denjenigen Personen, die ihre alte Kleidung in die vom Revisionswerber aufgestellten Sammelcontainer werfen, eine solche Entledigungsabsicht durchaus unterstellt werden könne: So werde die Kleidung weggegeben, weil sie nicht mehr gebraucht werde. Dass man dabei noch das Gefühl habe, etwas Gutes zu tun, könne als positiver Nebeneffekt betrachtet werden, stelle aber nicht den ausschlaggebenden Grund für den Einwurf der Altkleider in den Sammelcontainer dar, selbst wenn dafür unter Umständen ein etwas weiterer Anfahrtsweg zur nächsten Sammelstelle in Kauf genommen werde. Stünde der Spendengedanke im Vordergrund, dann wäre nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Leistung einer Geldspende weitaus naheliegender. Der VwGH findet nun die rechtliche Beurteilung des LH "nicht zu beanstanden". So wird der angebotene Urkundenbeweis (Emails von potentiellen Altkleiderspendern) damit als ungeeignet abgetan, dass die vorliegende Fallkonstellation insofern besonders ist, als es sich hier nicht um einen einzigen potenziellen Abfallbesitzer handelt, dessen Entledigungsabsicht (§ 2 Abs 1 Z 1 Variante 1 AWG 2002: "entledigen will") es seitens der Behörden zu erweisen gilt, sondern um eine im vorhinein unbestimmte Anzahl an Personen, die Gebrauchtkleider in die vom Revisionswerber aufgestellten Container einlegen. Demzufolge ist – so der Gerichtshof weiter – eine generelle Beurteilung des Personenkreises, der typischerweise seine Gebrauchtkleidung in solche Container einlegt, vor dem Hintergrund der allgemeinen Lebenserfahrung vorzunehmen, wobei er in diesem Zusammenhang auf sein Erkenntnis vom 13.01.1993, 91/12/0194, betreffend die Abfalleigenschaft von Altpapier verweist. Vielmehr steht für den VwGH unzweifelhaft fest, dass Personen die tatsächliche Sachherrschaft über ihre Gebrauchtkleidung aufgeben, wenn sie sie in einen vom Revisionswerber aufgestellten Container einlegen, zumal es die Größe und Konstruktion der Klappen, in welche die Gebrauchtkleidung eingelegt wird, um sie anschließend in den Container zu befördern, in der Regel nicht erlaubt, die Sachherrschaft über die einmal eingeworfene Kleidung wiederzuerlangen. Durch den Akt des Einwerfens der Gebrauchtkleidung in die vom Revisionswerber aufgestellten Container ist die zweite Tatbestandsvariante (arg: "entledigt hat") des subjektiven Abfallbegriffes im Sinn des § 2 Abs 1 Z 1 AWG 2002 erfüllt, die auf das gesetzte Faktum des Aufgebens der Gewahrsame, unabhängig von einem subjektiven Motiv oder Beweggrund, abstellt. Unter Bemühung von VwGH- und EuGH-Judikatur zu Produktionsrückständen und Abbruchmaterialien arbeitet der Gerichtshof heraus, dass der Begriff des Abfalls nicht voraussetzt, dass der Besitzer, der sich eines Stoffes oder Gegenstandes entledigt, dessen wirtschaftliche Wiederverwendung durch andere ausschließen will. Oder auch wörtlich: "Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann nach allgemeiner Verkehrsanschauung davon ausgegangen werden, dass die Personen, die Gebrauchtkleider oder -schuhe in die Container des Revisionswerbers einlegen, diese Gegenstände nicht selbst weiter verwenden wollen; sie verzichten durch diese Vorgangsweise auf deren weitere Nutzung, sie wollen sie loswerden. Dazu tritt die Absicht, durch die Weitergabe an den Revisionswerber und nach den durch diesen zu setzenden weiteren Schritten (wie Sortierung der Gebrauchtkleider und -schuhe, Organisation des Transports, Weitergabe an notleidende Dritte) Gutes zu tun." Bei einer typisierender Betrachtung gibt es nach Ansicht des VwGH auch keine Hinweise darauf, dass das Spendenmotiv stärker ist als der Wille zur Entledigung; so ist regelmäßig nicht davon auszugehen, dass Personen, die Gebrauchtkleider oder -schuhe in die Container des Revisionswerbers einlegen wollen, daran aber – aus welchem Grund auch immer, zB wegen Nichtauffinden oder Überfüllung des Containers – gehindert werden, von ihrer Entledigungsabsicht Abstand nehmen und diese Gegenstände wieder in Gebrauch nehmen. Selbst wenn das humanitäre Motiv stark ausgeprägt sein mag, ist bei einer von Einzelfällen losgelösten generellen Beurteilung davon auszugehen, dass es hinter das Motiv der Entledigung zurücktritt. Auch soll die Motivation der Personen, die ihre Gebrauchtkleidung in Sammelcontainer einwerfen, diese mit dem Hauptzweck weiterzugeben, sie weiterhin in ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung des Getragen-Werdens zu belassen, lediglich eine "bloße Erwartungshaltung" sein, da es nämlich keine Garantie gibt, dass sein Kleidungsstück bestimmungsgemäß (weiter-)verwendet wird. Vielmehr erweist sich das "Schicksal" des in den Sammelcontainer eingeworfenen Kleidungsstückes erst nach einem erforderlichen Sortierprozess (hier wird in dem besprochenen Erkenntnis – was in der Judikatur des VwGH gar nicht so oft vorkommt – auf Rechtssprechung aus Deutschland verwiesen). Das weitere Schicksal der gesammelten Kleidungsstücke ist also im Zeitpunkt des Einwerfens in einen solchen Container insofern unbestimmt, als es sich erst nach einem Sortierprozess entscheidet. Eine unmittelbar an den Akt der Entledigung anschließende Wiederverwertung findet daher nicht statt. Aus alledem folgen natürlich weitreichende Konsequenzen/Fragen:

  1. Altkleider sind nun auch in Österreich höchstgerichtlich festgestellter Weise Abfall iSd AWG 2002;

  2. Altkleidersammler bedürfen einer Erlaubnis nach den §§ 24a ff AWG 2002 für das bloße Entgegennehmen der Altkleider;

  3. Altkleidersammler, die Anlagen zur Sortierung von Altkleidern nach bestimmten Qualitäten betreiben, benötigen in Österreich eine Bewilligung nach § 37 AWG 2002 für diese Anlagen.

  4. Handelt es sich bei den Sammelcontainern für Altkleider allenfalls um Abfallsortieranlagen oder – dann nicht abfall- sondern gewerberechtlich bewilligungspflichtige – Abfallzwischenlager (siehe § 37 Abs 1 und Abs 2 Z 5 AWG 2002)?

  5. Macht sich der Altkleiderspender strafbar, wenn er sich nicht vergewissert, ob der Betreiber eines Altkleidersammelcontainers über zumindest eine Erlaubnis zur Sammlung von Abfällen verfügt (vgl § 79 Abs 1 Z 2)?

  6. Muss der Altkleiderspender mit dem Betreiber eines Altkleidersammelkontainers eine Vereinbarung abschließen, bevor er seine Altkleider einwirft, damit er seiner Verpflichtung nach § 15 Abs 5a Z 2 AWG 2002 (explizite Beauftragung zur umweltgerechten Verwertung) nachkommen kann?

  7. Kann der Altkleiderspender mit einem Behandlungsauftrag nach § 73 Abs 1 AWG 2002 in Anspruch genommen werden, wenn der Betreiber eines Altkleidersammelkontainers keine vollständig umweltgerechte Verwertung der Altkleider sicherstellt/durchführt (siehe § 15 Abs 5b AWG 2002; bejahendenfalls wäre die Behörde um das durchzuführende Ermittlungsverfahrens zur Eruierung des Verursachers nicht zu beneiden)?

Natürlich folgen aus dem oben gesagten auch weniger weitreichende Konsequenzen: Ich werde hinkünftig keine Altkleider mehr spenden, da mir das Risiko angesichts der vielen offenen Fragen zweifelsfrei zu hoch ist. Ich schwanke aber noch zwischen dem schlichten "wegwerfen" (also dem Entsorgen mitsamt dem sonstigen Restmüll) und einem Akt des zivilen Ungehorsams, in dem ich meine Altkleider hinkünftig vielleicht ohne Entsorgungsvertrag und Sicherheit über die abfallrechtliche Erlaubnis des Altkleidersammlers doch der Caritas oder der Humana übergebe und einfach ein Verwaltungsstrafverfahren und allenfalls sogar einen Behandlungsauftrag riskiere. Alles in Allem freue ich mich aber über einen lebensnahen Abfallbegriff …

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